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Cote d’Azur und Winterlager Gegen sieben Uhr morgens laufen auch wir aus und dümpeln in einer leicht bewegten See ohne Wind unter Motor aus der Bucht von Ajaccio heraus. Gegen halb neun runden wir die Tonne Tabernacle an der Nordwestspitze der Bucht von Ajaccio. Ab jetzt können wir den direkten Kurs zum Festland anliegen lassen, das hoffentlich morgen früh aus der Dämmerung zu uns herüber schauen wird. Der Kurs von 300 Grad liegt an und wird sich bis zu unserer Ankunft nicht ändern. Eine ganze Armada von Seglern liegt auf dem Kurs Richtung Cote d’Azur. Es ist fast gar nicht nötig, nach Kompass zu segeln. Man brauchte nur den anderen Schiffen zu folgen. Viele scheinen hier auf Korsika zwangsweise den Sturm abgewartet zu haben. „Wohin segeln wir den nun.“, fragt Petra ständig ungeduldig, „Ich möchte morgen Abend gern in der Disco von St. Tropez sein.“ „Wirst Du aber leider nicht. Wir segeln direkt zu den Ile d’Hyeres südwestlich von St. Tropez. Durch die lange Wartezeit in Ajaccio haben wir zu viel Zeit verloren. Und sollte noch ein Mistral kommen, werden wir es nie schaffen.“ Meine Antwort ruft zwar einige Enttäuschung bei Petra hervor, aber schließlich stimmt sie der logischeren Lösung zu. Gegen Vormittag kommt langsam Wind auf, bis wir schließlich eine handige Segelbrise von bis zu 3 Beaufort aus West bis Südwest haben. Wir fahren einen bequemen Kurs am Wind bis halbem Wind und rauschen mit ausgezeichneter Fahrt dem Festland entgegen. Ein Schnitt von über sieben Knoten lässt uns hoffen, eine ruhige Überfahrt zu haben und bald Land zu sehen. Allerdings wird der Landfall bei einer solchen Geschwindigkeit mitten in die Nacht fallen. Aber auf den Wind kann man sich ja sowieso nicht verlassen. Ein strahlend blauer Himmel und der leichte Wind bescheren uns auf jeden Fall ungetrübte Segelfreude. Die grüne Insel Korsika verschwindet immer mehr im Dunst des Tages und wir sind doch ziemlich traurig, diese wunderschöne Insel verlassen zu müssen. „Da, Wale“, ruft Carlos plötzlich in die Ruhe des Meeres. „Du spinnst. Hier sollen Wale sein. Siehst Du Gespenster?“, Petra kann dem Aufschrei nicht glauben.  „Doch, doch, da drüber war eine Fontäne zu sehen.“, Carlos beharrt auf seiner Meinung. „Na gut, und wo sind Deine Wale jetzt? Du hast schon zu viel Bier getrunken.“ Keiner denkt mehr an den Vorfall, als kaum eine Viertelstunde später etwa dreihundert Meter vor dem Schiff wieder eine Fontäne auftaucht. „Da sind tatsächlich Wale“, schreie ich die Crew zusammen, da ich im Moment gerade selbst steuere. Wieder ist voraus eine kleine Fontäne zu sehen, dann ist das Meer ruhig. Petra und Janine stehen bereits auf dem Vorschiff und alles schaut gebannt auf das Meer, aber die Riesen scheinen verschwunden. Plötzlich tauchen zwei riesige Rücken nur etwa 10 Meter vor dem Schiff auf und schwimmen gelassen und ruhig zur Seite. Unmittelbar neben dem Boot wird noch einmal eine Fontäne aus dem Luftloch geblasen, vielleicht zur Begrüßung oder aber zur Drohung. Die kleine Walschule schwimmt weiter achteraus und verliert sich schließlich wieder im Blau des Mittelmeeres. Den ganzen Tag wechseln wir uns ab mit Steuern und faulenzen, Essen kochen und Bier holen. Gegen Abend geht es der Nachtwache und der Einteilung entgegen. Wir beschließen eine ähnliche Einteilung wie auf den anderen langen Stücken dieser Fahrt. Petra und Carlos werden die erste Wache bis etwa Mitternacht machen und ich werde mit Natalie danach die Nacht bis etwa 4 Uhr draußen bleiben. Danach erfolgt der letzte Wachwechsel. Gegen Abend verschlechtert sich das Wetter zusehends. Dicke Wolkenbänke ziehen auf und verdunkeln den Himmel. Hier und da ist leichtes Wetterleuchten zu sehen und ich befürchte, dass wir noch eine Gewitternacht auf See hinter uns bringen müssen. Ich höre noch den Wetterbericht, bringe Janine ins Bett und lege mich ebenfalls schlafen. Der Wetterbericht sagt für morgen südliche Winde von 3 bis 5 voraus. Besser kann der Bericht eigentlich nicht sein. Natalie kann noch nicht schlafen und bleibt noch einige Zeit bei Petra und Carlos an Deck in der Dämmerung des Tages. Während ich schlafe, begleitet eine Schule von Delphinen lange Zeit unser Schiff und wir bekommen Besuch. Eine Gruppe von Brieftauben lässt sich auf der achterlichen Reling nieder und verweilt eine ganze Zeit an Bord. Drei von ihnen fliegen weiter, während wir für die vierte Taube ein bequemes Transportmittel und ruhigen Schlafplatz bieten. Neben den üblichen Sternschnuppen, die jede Nacht in Mengen zu sehen sind, glaubt Petra in dieser Nacht einen Kometen zu beobachten. Lange Zeit zieht der glühende Schweif seine Spur am Himmel und will erst kurz über dem Horizont erlöschen. In der Nacht hat der Wind immer mehr nachgelassen.  Wieder läuft der Motor als Hilfe mit, um den ein bis zwei Knoten Fahrt durch den Wind etwas mehr Kraft zu verleihen. Wieder einmal bleibt der versprochene Südwind aus und die Berechnung eines Landfalls bei Nacht bewahrheitet sich nicht. Gegen Mitternacht erfolgt der Wachwechsel und ich verbringe die Nacht mit Natalie in der Rabenschwärze der Mittelmeernächte. Nicht einmal ein Phosphoreszieren des Kielwassers ist zu sehen. Lediglich der klare Sternenhimmel bietet einen Kontrast zum Schwarz des Wassers. Von Zeit zu Zeit werden die Masten und Segel grell beleuchtet. Weit achteraus ist heftiges Wetterleuchten am Horizont zu sehen. Es scheint, dass wir die Gewitterfront durchfahren haben, als sie noch nicht so weit aufgeladen war. Jetzt möchte ich nicht unbedingt dort durch fahren. Gegen drei Uhr erscheint ein kleines blinkendes Feuer am Horizont. „E.T., E.T.“, schreit Natalie ständig von ihrem Platz im Cockpit. „Die Außerirdischen kommen.“ „Die Außerirdischen haben allerdings keine Blinkfeuer mit regelmäßiger Kennung“, gebe ich zurück. „Halt mal auf das Feuer zu“ Eigentlich ist es nicht der richtige Weg, auf das Feuer direkt zu zuhalten, aber Natalie ist nicht sehr geübt im Segeln und Steuern. Aber wie beim Auto mit einem Steuerrad auf ein Licht zu zu segeln in der sonst schwarzen Nacht ohne Anhaltspunkte gelingt ihr ganz gut. Während der Zeit nehme ich die Kennung mit der Stoppuhr und plotte unseren Kurs nach dem neuesten Stand des Schlepplogs nach. Wir sehen bereits das Leuchtfeuer Ile de Levant mit seiner Tragweite von 25 Seemeilen. Unser Kurs und Position stimmen ganz genau. Um eine bessere Peilung zu bekommen und zwischen den Inseln Porquerolles und Levant durchzulaufen, halten wir jetzt einen etwas westlicheren Kurs. Eigentlich müssten wir dann auch bald das Leuchtfeuer Porquerolles sehen, das jetzt noch zu weit weg ist. Eine Stunde später übernimmt Petra wieder das Kommando und ich kann mich mit der neuen Lage beruhigt schlafen legen. Gegen frühen Morgen werde ich wieder von Petra geweckt. „Wir liegen vor den Inseln, aber das Leuchtfeuer Porquerolles ist nicht zu sehen gewesen. Wir sind nicht ganz sicher über den Standort und wie wir jetzt weiter fahren sollen.“, mit diesen Worten holt mich Petra aus meinem verdienten Tiefschlaf. „Kannst Du dann auch gleich weiter machen? Ich kann nicht mehr und muss etwas schlafen.“ Als ich an Deck steigen will, schlagen mir Wassertropfen auf die Kleidung. Es wird doch nicht etwa regnen. Das ganze Schiff ist vollständig nass und trieft von der Feuchtigkeit des heraufziehenden Morgens. Vor uns in dichtem Dunst steigen die Isle d’Hyeres aus dem Dunst des Morgens auf. Nur schemenhaft sind ihre Umrisse zu erkennen und die Spitzen verschwinden gänzlich im Dunst. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und das graublaue Licht taucht die Landschaft in eine unwirkliche Farbe. Auf der spiegelglatten See kräuselt sich keine Welle. Einige Fischerboote liegen noch im Schutz der Felsen und man holt emsig den Fisch an Bord. Nach kurzem Kartenvergleich und Positionsbestimmung mit dem Handfunkpeiler liegt der neue Kurs nach West fest. Die Ile de Porquerolles, die wir anlaufen wollen, ist normalerweise sehr gut zu sehen. Sie ist nur etwa 5 Seemeilen entfernt, doch bei diesem Dunst kann man kaum 2 Seemeilen weit sehen. Carlos und ich genehmigen sich zur Freude der Ankunft bereits das erste kalte Bier und langsam beginnt nun auch die Sonne über den Horizont zu lugen. Schnell hat die aufsteigende Wärme der Sonne den Nebel weggeschleckt und auch das Festland hinter den Inseln taucht aus dem Dunst auf. Gegen acht Uhr, nach etwa 25 Stunden Überfahrt, runden wir das Ostkap der Insel Porquerolles und uns steht der Schock in die Augen geschrieben. Jede geschützte Bucht der Insel ist mit Schiffen übersät. Man erkennt nur noch Masten an Masten und Bug an Bug in den Einschnitten der Insel. Nicht eine einzige Bucht ist von dem Ansturm verschont geblieben. Gegen die sehr leeren Buchten und Häfen von Griechenland und die auch noch wenig besuchten Plätze in Italien und Korsika mutet dies wie der reinste Horroransturm auf dem Wasser an. Wir wollten eigentlich nach Porquerolles Stadt, um in irgendeinem Straßencafé zu frühstücken und die Ankunft auf dem Festland gebührend zu feiern. Als wir in die Hafeneinfahrt einlaufen, sind ebenfalls nur Masten und Boote zu sehen. Der Hafenmeister gibt uns zu verstehen, dass wir es in etwa einer Stunde noch einmal versuchen sollten. Jetzt ist es noch zu früh und danach könnte etwas frei werden. Wir laufen sofort wieder aus. „Ich würde vorschlagen, dass wir weiter nach Toulon gehen.“, schlage ich der inzwischen vollständig erwachten und etwas enttäuschten Crew vor, „Wir sind gegen Mittag dort, werden in der Stadt mit Sicherheit einen Platz finden und können uns dort sehr gut ausrüsten.“ Wir kannten Toulon und seine hervorragenden Einkaufmöglichkeiten bereits von einem Chartertörn im letzten Jahr. „Wenn wir ausreichend Proviant und Getränke an Bord haben, bleiben wir auf der weiteren Fahrt nur noch in Buchten oder kleineren Häfen.“ Mein Vorschlag fand zwar Zustimmung, wenn auch nicht gerade begeisterte, aber keiner von uns hatte mit so viel Ansturm gerechnet. Nach kurzer Fahrt unter Motor durch den erwachenden Tourismus hindurch laufen wir gegen Mittag in Toulon ein. Im Stadthafen finden wir auch einen geeigneten Liegeplatz am Steg. Wieder einmal sind wir in Toulon, aber mit dieser Überfahrt haben wir das allerletzte lange Stück unseres Törns geschafft. Wir sind an der Code d’Azur angekommen! Nach der Ankunft in Toulon machen wir uns als erstes daran, in die Stadt zu gehen und einzukaufen. Toulon ist eine geschäftige und laute Stadt, aber immerhin bietet sie mit dem mitten in der Stadt liegenden Hafen für Bootsleute ausgezeichnete Möglichkeiten der Versorgung mit Lebensmitteln, Treibstoff und auch Ersatzteilen. Unmittelbar an der Hafenstraße befindet sich ein riesiges Einkaufszentrum mit Ladenstraße und Lebensmittelgeschäften, Boutiquen und allen möglichen Läden. Wir schwelgen in Artischocken, Austern, Krabben und Früchten. Das Angebot ist ausgezeichnet und sehr preiswert. Im Gegensatz zu den letzten Häfen kommen wir voll bepackt und nach relativ geringen Geldausgaben wieder auf unser Schiff zurück.              Nach der Überfahrt schließt sich am Nachmittag eine allgemeine Ruhepause mit Schlaf an. Bisher waren wir immer wieder beeindruckt von der ungeheuren Aktivität unserer beiden Kubaner, aber nach dieser doch recht kurzen Überfahrt sind sie wie erschlagen. Inzwischen wissen wir auch, dass die Aktivität der beiden mit sehr viel Schlaf am frühen Abend kompensiert wird, wo hingegen unser Schlafbedürfnis sich im normalen Rahmen hält. Für den Abend ist in Toulon karibische Nacht angesagt. Von der Uferpromenade klingen karibische Rhythmen zu uns herüber und laden zu abendlicher Aktivität ein. Die einzigen, die jedoch noch genug Energie aufbringen können, sind Petra und ich und natürlich Janine, die mit Schlaf ohnehin keinerlei Probleme hat und uns immer gut auf Trab hält. Auf der Uferpromenade ist eine große Bühne aufgebaut und eine kleine Band lässt verzaubernde Musik erklingen, die uns in der Wärme des Abends und der Palmen umstandenen Arena fast wie in die Karibik versetzt. Schlank gebaute Mädchen tanzen in bunten fantasievollen Kleidern in schnellem Takt auf der Bühne und heizen die Zuschauer noch zusätzlich an. Es ist verwunderlich, dass Carlos und Natalie nicht hier sind, wo sie sich doch sonst von karibischer Musik leicht anlocken lassen. Allzu alt werden wir allerdings auch nicht und irgendwann in dieser Nacht legen auch wir uns schlafen, immer noch berieselt von den Klängen der Uferpromenade, die durch die offenen Luken eindringen. Der Wetterbericht verheißt wieder einmal nichts Gutes und wir wollen am Morgen schnell weiter. Es sind Südwinde um 3, zunehmend auf 5 angesagt, die gegen Nachmittag auf Nordwest um 8 drehen sollen. Es sieht so aus, als ob der Mistral nur darauf wartet, noch einmal zuzuschlagen. Um den behördlichen Obliegenheiten zu genügen, machen sich Carlos und ich am nächsten Morgen noch einmal auf zum Zoll zum Einklarieren. Aber auch hier erfahren wir dieselbe Geschichte, „Klarieren Sie doch in Martigues, ihrem Endhafen, ein.“ Bevor wir ablegen, kommt allerdings noch ein anderer Zoll an Bord, um die Schiffsregistrierung zu überprüfen und einen Kaffee mit uns zu trinken. Die Beamten sind sehr freundlich und schnell in der Abfertigung, ganz anders, als wir es bisher von den südfranzösischen Behörden gehört haben. Gegen halb zehn tuckern wir aus der Bucht von Toulon heraus, nehmen den kleinen, untiefen Ausgang an der Schutzmauer und sehen einem Ostwind der Stärke 4 direkt ins Auge. Es ist bewölkt und nicht gerade besonders warm, schon gar nicht für einen Sommer in Südfrankreich. Das Wetter erinnert uns an den Mistral in Korsika. Bis zur Spitze der Bucht von Toulon motoren wir gegen den Wind und die einlaufende Dünung an. Einige Fallschirmspringer des nahe gelegenen Stützpunktes in Toulon haben eine Sprungübung und werden nach der Wasserung von Küstenbooten wieder aufgenommen. Wir machen einen großen Bogen darum. Kaum haben wir die Huk gerundet, als auch schon alle drei Segel dem Wind reichlich Widerstand bieten und Beligou mit rauschender Bugwelle nach West zieht. Unser Ziel für heute ist nicht weit entfernt. Bis nach Martigues, unserem Endhafen dieser Reise, sind es noch etwa 50 Seemeilen und wir haben durchaus noch ein paar Tage Zeit. Wir beschließen, die uns unbekannten kleinen Häfen an dieser Seite der Cote d’Azur zu besuchen. Als erstes wollen wir La Ciotat anlaufen, etwa 25 Seemeilen von Toulon entfernt. Es soll sich dabei um eine recht schöne Stadt mit guten Hafenanlagen handeln. Während der Tour entlang der Küste legt der Wind weiter zu. Zu unserer Freude behält er seine Ostrichtung und wir düsen vor dem Wind unter voller Besegelung nach Westen an der Küste entlang. Zum ersten, und auch letzten Mal, haben wir in diesen fünf Wochen einen Vor-Wind-Kurs, noch dazu mit ausreichend guter Windstärke. Wir genießen das Segeln. In rauschender Fahrt zieht Beligou durch das blaue, manchmal aber eher graue Wasser, denn leider ist der Himmel vollständig bedeckt und es ist kühl. Ein blauer Himmel wäre uns lieber auf einem solch schönen Segelkurs. Natalies Interesse an der Bordarbeit nimmt auf dieser Fahrt immer mehr ab. Hat sie am Anfang noch etwas mit gearbeitet, vielleicht einmal gespült oder aufgeräumt, sitzt sie nun meist nur gelangweilt herum. Petra versucht immer wieder, sie zu Aktivitäten zu animieren: „Was sollen wir heute mal kochen oder einkaufen?“ „Frag mich nicht. Ich weiß nicht.“, bleibt die einzige Antwort und Petra grollt etwas vor sich hin. Die hohen braunen Felsen von La Ciotat kommen langsam in Sicht und der Seegang nimmt immer mehr zu. Wir laufen von Osten her in die flacher werdende Bucht von La Ciotat ein und das flachere Wasser lässt die Wellen etwas höher aufsteigen. Wir bergen die Segel vor dem Hafen und motoren durch eine enge Reihe von kleinen Tonnen durch die Untiefen und Sände entlang der Fahrrinnne in den nördlichen Yachthafen. Schlagartig nimmt die Bewegung des Schiffes ab und wir liegen im ruhigen Wasser des Hafenbeckens. Da kommt auch schon der Hafenmeister angelaufen und deutet uns mit seinem Winken darauf hin, dass wir im falschen Hafen sind. Für Gastlieger sind Stege im anderen Hafenbecken bereit und wir müssen wechseln. Gegen den Wind und die wegen des untiefen Sandes brechenden Wellen motoren wir mühsam wieder aus dem Hafen heraus. Immer wieder hebt sich der Bug hoch aus dem Wasser und bisweilen kommt Gischt sogar bis zu uns ins Cockpit gesprüht. Nach kurzem Arbeitsgang haben wir den anderen Hafen erreicht und suchen uns einen Ankerplatz. Am Hafeneingang ziehen die Schiffe ziemlich unruhig an ihren Ankern und werden vom einlaufenden Schwell gut in Bewegung gehalten. “Wir legen da an dem freien Platz zwischen den Booten an.“, rufe ich zu meiner Crew, die bereits dabei ist, das Schiff fertig zum Anlegen zu machen. „Wie willst Du reingehen? Rückwärts, - bei dem Wind ?“, fragt Petra. Das ist tatsächlich eine gute Frage. Der Wind steht genauso im Hafenbecken, dass ich rückwärts gegen den Wind an die Pier fahren müsste. Nach einiger Überlegung kommt meine Antwort: “Wir werden es rückwärts versuchen.“ Zunächst gehe ich vorwärts an der freien Anlegestelle vorbei und drehe dann vor den Wind, sodass wir nun unmittelbar und rückwärts beim Anleger stehen. Noch während des Drehmanövers wird voll rückwärts Gas eingelegt und wir schieben uns langsam in die Box. Gerade bei solchen Manövern merkt man das Gewicht von Beligou. Immer wieder korrigiere ich das vom Wind weg gedrückte Heck mit der entsprechenden Lenkbewegung und starkem Vorwärtsgas, um mit dem Rückwärtsgang weiter zwischen die beiden umliegenden Boote zu kommen. Ohne ein Problem sind wir schließlich fest in La Ciotat und an den anerkennenden Blicken der umliegenden Skipper erkenne ich, dass das Manöver doch einigermaßen gelungen zu sein scheint. So langsam gewöhnt man sich doch an das Fahrverhalten des Schiffes. Das Meer ist immer noch aufgewühlt und der Wind nimmt zu. Draußen im Cockpit können wir nicht sitzen, da immer wieder Gischtfontänen über die Steinschüttung der Hafenmauer getragen werden. Kein Sonnenstrahl lässt sich sehen. Während des Bergens der Segel hat Natalie unsere Schale mit Obst nach unten gebracht und trotz ihrer bisherigen Erfahrung mit Schiffen nicht im Schrank, sondern im Waschbecken verstaut. Nun liegen überall im Salon und in der Kombüse verteilt Pflaumen und Nektarinen herum, haben sich in die Löcher der Bodenplatten gedrückt und ein heilloses Chaos verursacht. Natürlich muss Petra das Ganze saubermachen, während sich Natalie nach dem anstrengenden Stück, sie ist immerhin mit draußen gewesen, hinlegen muss. Der Groll in der Crew wächst und die Apathie von Natalie nimmt zu, während Carlos gut mitarbeitet. Auf diesem Törn hatte nicht nur unser Gast Petra Geburtstag, sondern auch meine Petra, und zwar morgen am ersten August. Während sich alle hinlegen und schlafen, erkunde ich ein wenig den Ort und laufe die lange Fußgängerzone zusammen mit den anderen Touristen entlang. Ich besorge eine Rose und einige Knallkörper für den Geburtstag morgen, damit wir auch richtig feiern können. Am Nachmittag machen wir uns noch einmal alle auf, um den Ort zu besuchen. Während der Hafen von einer riesigen Schiffswerft mit den Kränen und Anlagen überschattet wird, ist die Innenstadt von La Ciotat geprägt durch eine lange, schmale Fußgängerzone mit den umliegenden Geschäften und Boutiquen. Leider haben auch viele Touristen von dem Reiz des Ortes gehört und so lassen wir uns im Pulk der anderen Touristen durch die schmalen Straßen schieben.  In einem Straßencafé bleiben wir, wie üblich, bei einem Bier hängen, obwohl es für ein kaltes Bier eigentlich zu kühl ist. An der Wand hängt eine große Tafel mit dem heutigen Datum, dem 30. Juli. Plötzlich beginnt Petra die Tage an ihren Knöcheln abzuzählen und ihr Aufschrei kommt prompt: „Ich habe morgen ja gar nicht Geburtstag. Der Juli hat 31 Tage und morgen ist erst der einunddreißigste. Ich habe übermorgen Geburtstag.“ Die Enttäuschung steht ihr in die Augen geschrieben. Hatte sie sich doch auf die Geschenke und den Schampus gefreut. „Da ist uns egal“, protestiere ich,“ wir haben Dinge besorgt, die nicht bis übermorgen warten können. Du feierst deinen Geburtstag morgen.“ Schließlich konnten die Rose und der Kuchen von Carlos und Nati nicht bis morgen warten, ohne unansehnlich zu werden. „Ja, wir haben jetzt alles vorbereitet und können nicht mehr verschieben.“, gibt Carlos ebenfalls zu bedenken. „Aber glaub’ ja nicht, dass wir deinen Geburtstag jetzt zweimal feiern werden.“ Der Abend rückt heran und wie beim ersten Mal wird die Boom Box nach draußen geholt und bei Wein sitzen wir im Cockpit und erzählen. Wieder wollen wir mit Mitternacht durch machen, um den Geburtstag gebührend zu feiern. Irgendwie sind aber an diesem Abend alle relativ müde, besonders unser vermeintliches Geburtstagskind Petra. „Was haltet Ihr davon, wenn wir den Geburtstag eher feiern würden?“, gibt Petra zu Bedenken, „schließlich schlafen ja alle schon fast ein.“ Die Idee wird gut angenommen und so machen wir auch diesmal ein kleines Feuerwerk am Steg und Schampus bei Nacht. Die Geschenke folgen natürlich auch noch und so kam es, dass wir Petras Geburtstag nicht einen Tag eher, sondern sogar zwei Tage eher gefeiert haben. Für den nächsten Tag ist immer noch Nordwest Stärke 4 angesagt, obwohl wir noch nicht einmal den Sturm oder die Winddrehung vom Vortag gehabt hätten. Wir wollen nur ein kurzes Stück weiter nach Cassis, etwa 10 Meilen entfernt. Cassis soll einen traumhaft schönen, kleinen Hafen haben und wenn wir bereits gegen Mittag da sind, haben wir gute Aussichten auf einen schönen Platz. Wir legen gegen zehn Uhr ab und laufen bei Windstille durch die Meerenge vor La Ciotat mit den steil aufragenden Felsen vor La Ciotat. Braun und wellenzerfressen klaffen die Felsen wie ein Riesenmaul neben uns in den Himmel. Hinter den Felsen öffnet sich dann das Meer mit der Steilküste, die das Meer in diesem Bereich zwischen Toulon und Marseille vom Festland trennt. Nah an der Küste laufen wir unter Motor mit dem Bild der steil aufragenden Felsen nach Cassis. Leider erlebt Petra nicht viel von der Fahrt, da sie, bedingt durch den gestrigen Abend, den ganzen Vormittag in der Koje verbringt. Gegen Mittag erreichen wir die Bucht von Cassis, an deren Ende eine schmale Einfahrt in den malerischen Hafen der Stadt führt. Ein kleines Hafenbecken voll von Schiffen wird gesäumt von einer Uferpromenade, umrahmt von bunten kleinen Häusern, Straßencafés und Geschäften. Auf einem Berg neben dem Hafen thront die Zitadelle des Ortes und scheint über allem zu wachen. Man hat uns nicht zu viel versprochen. Der Ort lohnt sich tatsächlich. Er ist malerisch schön. Zur Feier des nahen Geburtstags kocht Petra am Abend ein köstliches Mal mit drei Gängen, Schinken in Wein, Steaks und Mousse au Chocolat. Wir sind alle begeistert. Leider lässt der Wetterbericht schlechtes ahnen. Ab morgen ist wieder Mistral Wetterlage angesagt. Wir überlegen, ob wir heute Abend noch lossegeln sollen, aber sollte bereits in dieser Nacht der Mistral losschlagen, sind wir im Lichtermeer vor Marseille im Sturm gefangen. Dieses Risiko will ich nun doch nicht eingehen. Schließlich haben wir noch gut zwei Tage Zeit für die letzten 30 Seemeilen. Wir beschließen, morgen sehr früh abzulegen, da der Wind in der Nacht gewöhnlich schwächer ist oder einschläft. Immerhin könnten wir dann beim Morgengrauen bereits in Marseille sein und dort sehen, wie wir weiterkommen. Auf jeden Fall tauschen wir schon einmal die Rollgenua gegen die Rollfock aus, was sich für die nächsten Tage als sehr gut erweisen sollte. Morgen ist denn nun auch endgültig Petras Geburtstag, diesmal tatsächlich. Um fünf Uhr morgens klingelt der Wecker. Jetzt ist endlich Petras Geburtstag da. Ich wecke sie mit einem dicken Kuss, springe dann aber sofort aus dem Bett. Viel Zeit für Zärtlichkeit bleibt leider nicht, schließlich wollen wir dem Mistral zuvorkommen. Bei einem kleinen Spaziergang entlang des Strandes von Cassis beurteile ich das Wetter auf See. Außerhalb der Bucht sind keine Schaumkronen zu sehen und der Wind bläst mäßig aus Nordwest. Der Mistral ist also noch nicht da, obwohl die Windrichtung schon stimmt. Es geht los. Schnell haben wir das Boot aufgeklart; das meiste wurde ohnehin schon gestern Abend erledigt. Eine Thermoskanne Kaffee und etwas zu essen wird vorbereitet und schon haben wir gegen sechs Uhr den Hafen verlassen. Außer einigen Liebespaaren am Strand ist niemand auf den Beinen. Mit zügiger Motorfahrt verlassen wir den Hafen und die schmale schützende Bucht. Der Wind lässt uns leicht schräg liegen unter Groß und Fock und eine leichte Dünung läuft uns entgegen. Dunkelrot und Unheil verkündend schaut die Sonne zwischen einigen Wolkenlöchern über der Steilküste hervor. Vor uns liegt die Landschaft in einheitlichem Grau bis schwarz und sieht ziemlich bedrohlich aus. Immer weiter legt sich Beligou auf die Seite und ein erstes Reff im Groß ist fällig. Der Wind fängt an, sein Lied im Rigg zu singen. Böen, abgelenkt von der nahen Küste und den vorgelagerten Inseln, beuteln uns ein wenig. Wir kommen der Insel vor der Huk zur Bucht von Marseille immer näher. Wir müssen sie runden, um dahinter in die Bucht von Marseille segeln zu können. Da könnten wir durch das Festland wieder etwas Schutz und Landabdeckung finden. Immer steiler baut sich die Welle auf und das Spritzwasser macht längst Regenkleidung nötig. Petra hat sich seekrank unter Deck verzogen, nachdem sie lange Zeit tapfer mit der See und sich gerungen hat. Sie hat bis hierher fast ganz allein gesteuert. Natalie harrt an Deck aus, obwohl sie in ihren dünnen Sachen schon ziemlich durchnässt ist. Sie ist ebenfalls seekrank und traut sich nicht, unter Deck zu gehen. Nach den bisherigen Segelerlebnissen mit Natalie hatte ich angenommen, sie könne nie seekrank werden, sie selbst hat es wohl auch nie vermutet. Immer wieder brechen sich die höher werdenden Wellen am Bug und kommen fast bis ins Cockpit. Das Vorderdeck wird regelmäßig weiß überschäumt, während wir weiter kreuzen, um die Huk zu packen. Immer weiter und recht zügig nimmt der Wind zu und weiter und weiter müssen wir uns aus dem winzigen Schutz der Insel herauswagen, um daran vorbei zu kreuzen. Die See um uns herum zeigt uns die Zähne, Beligou jedoch kämpft sich tapfer und außerordentlich gut durch die Wellen. Irgendwie merkt man doch das hohe Gewicht dieses Stahlschiffes. Wir kreuzen einige lange Schläge neben der Insel und nehmen immer wieder gut Wasser aus den am Bug brechenden Wellen mit. Carlos und ich kämpfen immer noch mit dem Wasser und dem Wind, aber der Fortschritt mit jedem Schlag ist frustrierend. Die Insel will sich kaum an uns vorbei schieben. Außerdem haben wir auch hinter der Insel durchaus noch einige Meilen zu kreuzen, ehe wir in die Bucht von Marseille einlaufen können. Der Wind nimmt außerdem immer noch zügig zu und dürfte jetzt irgendwo bei etwa 7 liegen. „Wir drehen um und segeln nach Cassis zurück. Leider gibt es hier an der Küste keinen anderen Hafen, den wir anlaufen könnten. Cassis liegt am Nächsten.“, beschließe ich und drehe um. Auch Carlos stimmt zu: „Es ist am besten.“ Wir stampfen uns immer mehr fest und der Mistral hat seine volle Stärke noch nicht erreicht. In der Bucht von Marseille wären wir nicht nur mit der Großschiffahrt in Kontakt, sondern hätten auch noch eine beträchtlich Leeküste gegen uns. Der achterliche Wind schiebt uns mit rasender Fahrt zurück in den Hafen von Cassis, wo gerade das Leben erwacht. Unsere Box ist noch frei und wir liegen schnell wieder am selben Platz. Das Boot ist lediglich etwas salziger an Deck und wir sind hundemüde. Tagsüber feiern wir nun Petras richtigen Geburtstag, sitzen in der Sonne und genießen den Tag. Der Mistral hat die Wolken verjagt und donnert jetzt auch durch den Hafen. Lediglich einige Felsrücken haben ihm hier die volle Kraft genommen. Der Wetterbericht für morgen sagt immer noch Nichts Besseres voraus. Nordwest bis Nord um 7-8, später auf Nordost drehend mit Mistralböen. Der Hafenmeister redet nur von Mistral aus Nordwest. Zum zweiten Mal auf dieser Überführung sind wir gefangen durch das Wetter, wobei der Mittelmeerwetterführer im Sommer von einer Mistralhäufigkeit von 5% spricht. Die fünf Prozent scheinen dieses Jahr alle zu einer Zeit zu kommen. Leider haben wir nur noch drei Tage Zeit. Wir überlegen zwar schon Ausweichmöglichkeiten, aber frustrierend ist es doch, über 1200 Seemeilen gesegelt zu sein, um 30 Seemeilen vor dem Ziel festgehalten zu werden. Am nächsten Morgen sagt der Wetterbericht des Hafenmeisters sogar Südwest 6-8 voraus. Nur der Wind scheint nichts von seiner Drehung zu wissen. Er bleibt bei Nordwest, wie bei einem ordentlichen Mistral üblich. Die Kraft hat allerdings etwas nachgelassen. Wir versuchen einen zweiten Ausbruch aus unserem Hafen. Durch den Sturm, der die ganze Nacht geblasen hat, sind die Wellen lang und angenehmer geworden. Wir schaffen die Strecke bis zur Insel an der Huk zur Bucht von Marseille mit etwas höheren, aber längeren und angenehmeren Wellen, als gestern. Wieder müssen wir bei etwa Windstärke 7 an der Insel vorbei kreuzen und nehmen wieder reichlich Wasser. Insgesamt lässt es sich allerdings besser segeln und wir kommen noch einigermaßen zügig voran. Petra segelt heute wieder den größten Teil der Strecke und sie macht ihre Sache toll. Einige wenige Boote, die auch in unsere Richtung fahren, versuchen nur unter Motor gegen das Wetter anzukämpfen. Es muss auf diesen Schiffen etwa wie auf der Achterbahn sein, hin und wieder taucht der Bug steil und hoch aus den Wellen, um dann wieder tief zu versinken. Welch ein Wahnsinn für Mensch und Material. Unter Segeln und mit entsprechender Schräglage lassen sich die Seen viel angenehmer und einfacher nehmen, zumal die Geschwindigkeit unter Motor gegen Wind und Wellen ziemlich minimal ist, und man somit in jede Welle hinein fährt und entsprechend gebeutelt wird. Nach einiger Zeit runden wir dann tatsächlich die Insel und vorgelagerte Halbinsel und können auf Nordkurs in die Bucht von Marseille einlaufen. Der Wind hat weder auf Nordost, noch auf Südwest gedreht. Der Mistral veränderte seine Nordwest Richtung überhaupt nicht. Lediglich die Windstärke nimmt jetzt am Nachmittag weiter zu. Hatten wir eben noch etwa sieben Beaufort, so bläst uns jetzt ein satter Sturm ins Gesicht. Immerhin ist der Himmel heute einigermaßen klar, sodass die Sonne bisweilen ein sehr schönes Blau in die Wellen zaubert. Die Mannschaft wird  langsam müde und der Wind legt, wie am Nachmittag so üblich, weiter zu. Wir beschließen, den Hafen Port du Friol anzulaufen. Der Hafen Port du Friol ist künstlich zwischen zwei Inseln vor Marseille angelegt worden und bietet ausgezeichneten Schutz in Richtung Nordwest. Von den Inseln hat man einen sehr schönen Blick hinüber nach Marseille und über die gesamte Bucht. Bei Sturm legen wir an den neuen und sehr gut hergerichteten Anlegern an. Es sind nur sehr wenige Schiffe hier und das Anlegemanöver bereitet keinerlei Probleme. Im Laufe des Abends nimmt der Wind noch weiter bis auf etwa Windstärke neun zu. Um sicher zu gehen und kein Seemannsgarn zu erzählen, wird die Windgeschwindigkeit mit dem Handwindmesser am Steg getestet. Aber auch Windstärke 9 kann uns hier im geschützten Hafen nicht weiter belasten. Wir erklimmen die alte Festung auf der Spitze der Bergkuppe und haben einen fantastischen Blick auf die Bucht von Marseille, die riesige Stadt und entlang der Küste bis zum Leuchtturm an der Spitze zur Einfahrt nach Martigues. Wir sind dem Endhafen zum Greifen nahe gekommen. Trotz der kurzen, aber unüberwindlichen Reststrecke haben wir ein absolutes Hochgefühl. Trotz Sturm und Mistral haben wir im gefürchteten Golf du Lyon dem Wind eine ganz ordentliche Strecke abgetrotzt. Abends gibt es dann auch ein recht preiswertes, aber sehr gutes fürstliches Essen in einem der Insellokale, umrahmt vom Heulen des Windes in den Masten der nahegelegenen Boote. Wir haben uns für die hiesigen Meeresfrüchte entschieden und werden nicht enttäuscht. „Wir werden das Schiff auf jeden Fall heute Abend seeklar machen.“, sage ich beim Essen. „Warum, willst Du bei dem Sturm wieder lossegeln?“, fragt Petra nicht ganz zu Unrecht. “Vielleicht lässt der Wind diese Nacht nach. Wir haben noch etwa 15 Seemeilen. Wenn wir eine Periode von wenigen Stunden mit weniger Wind erwischen, haben wir es geschafft. Und wenn wir es nicht schaffen, ist es ein Leichtes, wieder in diesem Hafen einzulaufen.“ „Da hast Du Recht.“ In dieser Nacht schlafe ich ziemlich unruhig. Das Pfeifen des Sturms im Rigg weckt mich immer wieder. Es scheint keine Ruhe zu geben. Gegen halb drei Uhr ist plötzlich Ruhe. In Windeseile bin ich an Deck, um die Lage zu beurteilen. Tatsächlich ist der Wind fast vollständig eingeschlafen. „Los geht’s. Wir laufen aus.“, rufe ich meiner Mannschaft zu. Auch auf einem anderen Schiff herrscht plötzlich Aktivität. Sehr schnell haben wir das Schiff fertig und Kaffee weckt die müden Geister. Mit einem letzten Blick auf die Karte und die eingezeichneten Peilungen verlassen wir den Hafen. Es steht nur eine leichte Dünung des abgestorbenen Mistrals, schließlich liegen wir hier etwas in Küstenabdeckung durch die nahe Cote d’Azur. Wir tasten uns unter Motor an der Tonnen entlang aus dem Schutz der Insel heraus und setzen Groß und Fock. Wir halten Kurs Nordwest auf die Küste zu, obwohl eigentlich West Richtung Bucht Martigues angesagt wäre, um bei erneut aufkommendem Wind etwas in Lee der Küste zu sein und weniger Wellen zu haben. Dieses Rezept erweist sich als erfolgreich. Kaum eine dreiviertel Stunde nach dem Auslaufen setzt der Wind wieder ein und wird schnell stärker. Wir haben immer noch das erste Reff im Groß, aber sehr schnell nimmt der Wind auf Sturmstärke zu. Ein zweites Reff wird ins Groß eingebunden. Natalie ist gerade auf Toilette und ich stehe am Kartentisch, als eine große Welle über das Deck wischt. Gurgelnd verschwindet das Wasser in den riesigen Lenzrohren (Ich bin mit deren Dimensionen ganz zufrieden.) und aus dem Wasser taucht Carlos am Steuerrad wieder auf. „Ich hab die Welle kommen sehen und in der Dunkelheit schoss sie ziemlich groß über das gesamte Deck und den Aufbau. Ist aber egal. Jetzt habe ich endlich so richtig die Elemente verspürt und war mit Wind und Wasser eins. Jetzt weiß ich, was Segeln ist.“, kommt die Story der Welle von oben in den Niedergang. Die Geschichte der großen Welle, die Carlos unter sich begrub, wird uns und allen Bekannten und Freunden noch des Öfteren erzählt und vielen Varianten und Abwandlungen wiederholt. In einer Rekordfahrt rauschen wir in der Dunkelheit an der Küste entlang und runden im Morgengrauen das Leuchtfeuer Cap Couronne. Mit einigen langen Schlägen geht es gegen den Wind in die Bucht von Martigues und in den Zufahrtskanal. Der Wind hat gegen morgen wieder etwas abgeflaut, sodass wir bei etwa Stärke 6 in die Bucht kreuzen konnten. Gegen acht Uhr morgens machen wir die Leinen im Hafen Port a Sec, unserem Endhafen fest. Es ist bereits Samstag und am Montag müssen wir alle wieder auf der Arbeit erscheinen. Wir sind alle überglücklich, gegen Wind, Wellen und Mistral unsere Strecke bis hierher geschafft zu haben. Jetzt besteht nur das Problem, das Schiff hier aus dem Wasser zu nehmen. Unser angekündigter Termin zum Auskranen war gestern, Freitag. Der Plan für den Samstag ist bereits voll, wir können nur hoffen, dass wir irgendwo dazwischen geschoben werden können. Nach etwas Überredung kommen wir schließlich doch gegen Mittag aus dem Wasser, denn durch den immer noch herrschenden Mistral sind andere, die für heute angemeldet waren, auch nicht gekommen. Die Slipaktion läuft sehr zu unserer Unzufriedenheit ab. Zunächst ist unser Boot genau so groß, wie der Slipsteg breit ist. Man sagte uns, dass es keine Probleme geben wird, schließlich hatten wir die Bootsabmessungen vorher bekannt gegeben. So rutschen wir nun mit dem Lack an der Slipwand vorbei, die Kranhacken hinterlassen einige tiefe Riefen in der Bordwand. Das erste Anheben achtern erfolgt an der Schraubenwelle, das zweite und dritte am Wellenschaft und erst beim vierten Versuch gelingt es, den hinteren Gurt unter den Kiel zu legen. Schließlich steht Beligou nun doch endlich an Land auf dem Bock und in einer sehr schnellen Aktion wird alles ausgeräumt. Wir wollen noch am selben Nachmittag nach Hause fahren und sind gegen Abend dann auch unterwegs. Wir schlafen in einem Hotel an der Autobahn und schaffen es tatsächlich, am Sonntag zu Hause zu sein. Wir haben unser Ziel erreicht, mit einem uns noch unbekannten Schiff mit Kind und Kegel von Griechenland zur Cote d’Azur zu segeln, für uns ein ganz schön großes Stück und tolles Erlebnis. Im Oktober fuhren wir noch einmal nach Martigues, um das Boot winterfest zu machen, mit Planen zu belegen und trocken zu legen. Schließlich wollten wir es nicht noch einmal so vorfinden, wie in Griechenland. Für den Juni des nächsten Jahres war die Weiterfahrt über die Kanäle nach Holland geplant. Bei Martigues ist bereits die Einfahrt in die Rhone, weshalb ja auch dieser Liegeplatz ausgesucht worden war.
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