„Sommerschlaf“ Wir segeln noch einige Male in unserem Bereich herum, bei schönem, passenden Wind auch weit hinaus nach Osten und genießen das leere Meer um uns herum. Alle anderen Schiffe bleiben in Küstennähe. Tja, und dann wird es Ende Juli / Anfang August. Es wird voll und voller in den Buchten und vor und im Hafen. Das haben wir ja auch schon erwartet nach den Erfahrungen im letzten Jahr, dennoch ist es immer wieder faszinierend, wie eine Megayacht nach der anderen vor Anker geht und man irgendwann das Gefühl hat, über das Wasser laufen zu können. Also ist unsere Aktion: Segel einpacken, Klimaanlage richtig installieren, Motor einmotten und die Zeit genießen - wir verfallen in „Sommerschlaf“. Naja, ganz so schlimm ist es nicht. Wir segeln zwar nicht mehr raus, sondern fahren manchmal mit dem Beiboot in die vollen Buchten. Die Geschichten anderer Segler bestätigen unser Vorgehen, wir hören von den Motorbootwellen, der Unruhe an den Ankerplätzen und der Enge. Hier kommt der Vorteil unserer Situation voll zu tragen. Wir sind 7 Monate hier, warum (zum Teufel) sollen wir denn dann jetzt rausgehen ? Der Neid oder Bewunderung der anderen, die nur für wenige Wochen zur sardischen Hochsaison hier sind, ist uns sehr sicher. Dennoch schieben wir keine Langeweile - Sommerschlaf ist vielleicht etwas übertrieben. Wir gehen reichlich im Meer baden. Hier haben wir wirklich den Vorteil, dass neben dem Hafen einige sehr schöne Sandstrände vorhanden sind. Wir müssen nur dahin laufen, baden gehen und können Sand und Salz am Schiff abduschen. Einfacher Luxus. Ende Juli machen wir uns auf zur Sagra de Bovine, das Fest der Rinder in Calangianus. Da die sardischen Feste meist ohnehin erst ab 20:00 Uhr anfangen und Musik und Tanz und das richtige Fest erst ab elf anfangen, haben wir uns ein B&B im Ort genommen. Die Auswahl war auch nicht so schwer, es gibt nur ein Einziges ! Wir haben etwas zu spät gebucht und bekommen nur noch das Zimmer im Erdgeschoss mit separatem Bad (allerdings nur für uns und direkt neben dem Zimmereingang). Das B&B ist sehr liebevoll eingerichtet mit Kork und Antiquitäten, allerdings ist unser Zimmer zur Strasse raus ohne Klimanlage. Egal, wir feiern bis in die Nacht, nachdem wir vorher reichlich Rindfleisch vom Grill (die Rinderhälften werden mehr als 15 Stunden gegrillt) und Wein genossen haben. Nach Mitternacht schauen alle permanent zum nachtleuchtenden Himmel und dann öffnen sich plötzlich die Schleusen. Es giesst und alle rennen zu irgendwelchen Hauseingängen. Wir erreichen auch vollkommen nass unser B&B, allerdings ist nicht daran zu denken, die Fenster zu öffnen. Auf der Strasse wird noch lange gefeiert (in den Hauseingängen) und geredet. Es fahren Autos und der Regen platscht die ganze Nacht lang. Ohne Klimaanlage und mit geschlossenen Fenstern nicht gerade der Bringer, zusätzlich wecken uns die anderen Gäste, die nachts lautstark reinkommen. Das Frühstück ist aber toll und es gibt sogar Honig direkt aus der Wabe ! Reichlich müde kommen wir auf Beligou an und verschlafen erst einmal den nächsten Tag. Zu Petra‘s Geburtstag Anfang August beschließen wir, ein B&B in Castelsardo für 2 Tage zu buchen und die Nordwestseite der Insel genauer zu erkunden. Wir fahren Capo Testa, die Nordspitze Sardiniens, an und sind auch ganz schnell (so weit schnell bei den überfüllten Strassen überhaupt geht) mit dem Wagen wieder weg. Die Strasse ist rechts und links gesäumt mit parkenden Autos. Touristen, die an den nahen Stränden baden, sind in Massen vorhanden. Wir beschließen, dass diese sehr schöne Landschaft für uns im Oktober vielleicht interessanter sein könnte. Wir fahren an der Küste weiter nach Castelsardo und entdecken, dass wir ein geiles B&B gebucht haben. Das Haus liegt zwischen oberer und unterer Altstadt in einer Sackgasse. Gut, dass die Wirtsleute Schilder aufgestellt haben, wäre sonst kaum zu finden. Das Haus (und die umliegenden) sind seit Generationen in Familienbesitz und der jetzige alte Wirt zeigt uns Bilder seiner Ur-Ur-Urgrosseltern, die das Haus gebaut haben. Wir schlafen in einem Haus aus der Mitte des 18ten Jahrhunderts, aber liebevoll restauriert und in einer ruhigen Strasse und mit Klimaanlage. Der Wirt empfiehlt auch gute Restaurants in der Stadt (wir essen wirklich super). Am Geburtstagsmorgen überrasche ich Petra mit vielen Geschenken, die meisten Gutscheine. Da sind z.B. Gutscheine für einen Kinobesuch, Restaurantbesuch, Schmuck, selbstgemachten Limocello usw usw. Petra ist (glaube ich) ziemlich überrascht. (Anmerkung von Petra - stimmt!) In den kommenden Tagen erkunden wir die Nordwestseite, kaufen Wein und Olivenöl im Agritourismo, besuchen Porto Torres und Stintino. Porto Torres ist die westliche Hafenstadt mit Anschluss an Frankreich und Spanien, aber macht für uns einen ziemlich herunter gekommenen Eindruck. Die Halbinsel Stintino mit dem pitoresken Hafen gefällt uns sehr und wir bleiben hier ein paar Stunden. Hier müssen wir unbedingt einmal mit Beligou hin segeln. Wir besuchen (natürlich) auch den steinernen Bären und sind nur einfach los. Ein passend geformter Felsen direkt am Strassenrand mit vielen Touristen darunter, die pausenlos Fotos machen. Wir machen auch 2 Bilder und nix wie weg. Und wir lernen immer noch Italienisch, mit Babbel und Pons. Was uns aber immer noch fehlt, ist die Kommunikation. Bei jeder Gelegenheit versuchen wir zu reden, aber es geht halt nur holprig, für unseren Geschmack jedenfalls. Und dann hilft der Zufall. In einem Laden (Negozio) für Herrenmode werden wir auf Deutsch angesprochen. „Ja, wieso sprechen Sie so gut Deutsch ?“ „Nun, ich bin Deutscher und lebe hier in Italien mit meiner italienische Frau. Die war in Deutschland Lehrerin für Italienisch.“ Ruckzuck sind die Telefonnummern ausgetauscht und ein paar Tage später erscheint eine zierliche Italienerin auf Beligou und wir haben unsere erste Privatstunde. Daraus werden natürlich viele Stunden - auf Gegenseitigkeit. Wir wollen Italienisch lernen und fühlen uns wieder wie in der Schule und sie möchte ihr Deutsch auffrischen. Plötzlich haben wir das Gefühl, auch mal richtig Fortschritte zu machen. Wir können alles mögliche fragen, was wir auch tun. Wie in der Sesamstrasse - wieso, weshalb, warum ? Und der Druck, dass wir bis zur nächsten Stunde lernen müssen, motiviert zusätzlich. Außerdem bekommen wir natürlich immer wieder Hausaufgaben, wie früher. WIr lieben auch immer wieder ihr ungläubiges Gesicht, wenn wir sagen: „Wieso ist das so und so, müsste doch nach der Erklärung von eben anders sein.“ Nicht selten kommt: „Ist halt im Italienischen so. Müsst Ihr auswendig lernen.“ Ok, machen wir. Mal sehen, wie weit wir kommen bis November.

Und es kommt wieder schlimmer

Und dann wird es wieder Mitte Juli und August und es wird voll. Die Megayachten kommen und man kann wieder über das Wasser laufen. Die Buchten füllen sich und bei Mistral suchen alle Schutz auf der Ostküste und man sieht vor lauter Schiffen das Wasser nicht mehr. Auch unser Hafen wird wieder voll und an unserem Steg gegenüber liegen wieder die „Blender“ und „Grosskotze“. Da liegen gerade mal 50 bis 55 Fuss Motorboote, eine Größe, bei der im Norden (z.B. in Holland und Belgien) kein Mensch einen großen Aufstand drum machen würde. Hier muss man natürlich für das Schiff einen Leibeignen (oder modernen Sklaven) haben oder manchmal auch zwei. Die sind nur dazu da, das Schiff fertig zu machen, wenn der „Herr“ erscheint. Dann werden alle raus gefahren, betreut (betreutes Wohnen bekommt hier eine ganz neue Bedeutung!) und wieder in den Hafen gefahren. Die Schuhbox wird bereitgestellt (oder die Schuhe werden angezogen) und wie der Wind sind alle verschwunden. Nun machen alle Sklaven die Schiffe peinlichst sauber für den nächsten Tag - wir finden das ziemlich pervers. Und manchmal entbrennt auch ein sehr lautstarker Streit zwischen den Helfern, wenn einer auch nur einen Wassertropfen auf das gerade polierte Nachbarschiff gespritzt hat. Gemeinsamkeit, Verständnis oder gar Seemannschaft sind hier und zu dieser Zeit vollkommene Unbekannte. Die vollste Woche ist die Woche mit Ferragosto, Mariae Himmelfahrt, einem Nationalfeiertag in Italien. Neben den Urlaubern aus Italien, Frankreich, Holland und Deutschland kommen in dieser Woche noch die Kurzurlauber, Einheimischen und sonstige Leute dazu. Lange Staus sind hier an der Tagesordnung, die Leute vom Festland kommen mit den Kreisverkehren und der Fahrweise hier gar nicht zurecht. Sollte einmal irgend jemand aus Sardinien (und nicht nur von dort) sein Auto verkaufen, kann er auf jeden Fall sagen, dass die Blinker unbenutzt sind ! Wir fahren an Ferragosto auf den Monte Limbara (1300 Meter). Das Wetter ist sonnig und warm. Eine lange und ziemlich gewundene Serpentinenstrecke führt hinauf. Kurz vor dem Festwald kommt die lokale Polizei entgegen gefahren und weisst die Besucher an, den Strassenrand zu beparken. Wir müssen ein paar hundert Meter (und etliche Höhenmeter) laufen und erreichen einen Zubringerbus zum Wald. Viele Familien haben sich im Wald sehr schöne Plätze gesucht, Tische und Stühle aufgebaut und alles zum Essen mitgebracht. Wir gehen in den Wald von Monte Limbara. Hier ist alles durch Freiwillige organisiert worden. Überall im Wald sind lange Tische mit Papiertischdecken aufgebaut. An den Bäumen hängen Kanister mit Rotwein. Wie alle anderen kaufen wir Tickets für nur 12 Euro pro Person und erhalten ein Tablett mit Wasser, Besteck (wir haben unser eigenes aus Metall, wie wissen ja inzwischen Bescheid) und Becher und suchen uns ein paar leere Plätze an den Tischen, gar nicht so einfach. Der Wein wird einfach gezapft, wir machen eine Wasserflasche leer und müssen dann nicht mehr so oft laufen. Nach einer Weile verteilen die Freiwilligen zunächst Nudeln mit Ragout als ersten Gang. Alles wird in großen Gulaschkanonen gekocht und mit großen Schüsseln verteilt. Der zweite Gang ist Kalbsragout mit Kartoffeln. Wir sitzen und essen etwa 3 Stunden, immerhin schätzen wir die Menschenmenge auf über 1000 Leute hier im Wald. Die wollen erstmal bedient werden. Wir sind so vollgestopft und können uns kaum bewegen. Dennoch sind wir bei der sardischen Lifemusik noch etwas aktiv. Welch ein toller Tag. Wir verbringen die volle Zeit (und auch heißeste Zeit) damit, die Gegend zu erkunden, schwimmen zu gehen, zu grillen und so weiter. Wir grillen meist oder gehen essen, weil wir keine Lust haben, die Kabine durch Kochen unnötig aufzuheizen. Das hiesige Grillfleisch ist aber auch super lecker und normal bezahlbar. Wenn wir die Rinder auf dem weitläufigen Weiden und Koppeln sehen, wird uns natürlich auch klar, warum das Fleisch so geil schmeckt. Die Klimanlage läuft nun 24 Stunden. Wenn wir die Gegend (den Nordteil der Insel) erkunden, machen wir natürlich auch mehr und mehr Fahrten dorthin, wo kein normaler Touri hinfährt. Im Inneren sind die alten Bergwerke, in denen einstmals Granit in Stollen abgebaut wurde. Die Stollen sind geschlossen und das Museum existiert nicht mehr, das Kartell ist längst pleite. Die Strassen zu den Stollen sind unterspült und weggeschwemmt und später wieder grob aufgeschichtet worden. Wie gut, dass wir unseren Wagen in diesem Jahr gegen einen Geländewagen eingetauscht haben. Das haben wir bei vielen Fahrten schon oftmals genossen. Unpassierbare Wege sind kein Problem mehr ! Nun, auch die volle Zeit geht vorbei und ab dem vorletzten Augustwochenende sind viele Megayachten verschwunden. Auch im Hafen wird es ruhig, wie abgeschnitten. Jetzt beginnt unsere Zeit wieder -- segeln ohne volles Meer. OK, wir wollen uns nicht beschweren, es ist einfach nur toll hier. Nur diese „Blender“ und „Aufschneider“ gehen auf den Geist, auch wenn sie vielleicht ein paar Millionen haben, na und ?!?!? Und so segeln wir in guter Hoffnung auf Ruhe am vorletzten Augustwochenende los und wollen nach Aranci. Immer noch viele Motorboote und in der Vorbucht von Aranci kann man fast über das Wasser laufen. Wir nehmen einen kurzen Blick in die Ankerbucht und Petra sagt:“Dreh bitte um!“ Also sind wir kurze Zeit später wieder an unserem ruhigen Liegeplatz und wissen - es war etwas zu früh !
BELIGOU
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